Hannelore Fobo, September 2007


Die Kunst der Zukunft, Kommentar zum Gespräch mit Evgenij Kozlov, Seite 1

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Die Kunst der Zukunft

Einleitung

In Bezug auf das Gespräch vom November 1991 scheint es mir notwendig, in dieser Einleitung einige Erläuterungen zu geben zu dessen Inhalt, aber auch zu den Gründen, die mich damals bewogen haben, das Gespräch zu führen, aufzuzeichnen und (in leicht gekürzter Fassung) aus dem Russischen zu übersetzen. Meine Einschätzung des Dialogs hat sich in den knapp 16 Jahren, die seitdem vergangen sind, nicht geändert, ist eher deutlicher geworden. Ich halte die Gedanken, die darin ausgesprochen sind, für außerordentlich produktiv und anregend.

Nachdem ich mich unter dem Aspekt des Verhältnisses von Idee und Erscheinung in den letzten Jahren verstärkt mit Schriften der deutschen Denker des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts beschäftigt habe, aber auch mit der Philosophie Platons, fand ich in diesem Gespräch interessante gedankliche Parallelen. Diese scheinen mir gegeben zu sein: bei Platons „Gastmahl“ im Gespräch zwischen Sokrates und Diotima, in welchem erläutert wird, wie der Mensch, ausgehend von der Liebe, dem Verlangen, über mehrere Stufen zur Schau der unsinnlichen Idee und zuletzt zum Gebären des wahren Schönen gelangt und damit unsterblich werden kann, beziehungsweise, wie es heißt, „wenn überhaupt ein Mensch unsterblich werden kann, dann dieser“. Die Parallele sehe ich hier in der Richtung des Verlangens, das Evgenij Kozlov als die Voraussetzung für die Schaffung eines echten Kunstwerks beschreibt: „dieser innere Reichtum des Verlangens und dieses innere Verlangen nach ..... Reichtum“.

Weiter: die Auffassung Goethes, welche sich in seinen naturwissenschaftlichen Forschungen und Schriften zeigt, dass die Idee nicht außerhalb, sondern innerhalb der Erscheinung zu finden ist, und dass es dem Menschen möglich ist, die Idee zu erkennen als die die Erscheinung bewegende und verwandelnde Kraft, eine Kraft, die allerdings nicht nur mechanisch, sondern auch dynamisch ist. Wie Goethe die erzeugende Idee in den Naturerscheinungen sucht, erlebt und darstellt, erlebt Evgenij Kozlov die Naturerscheinungen nicht als ruhende, sondern als dynamische, kraftbewegte, und das Erleben dieser Kraft bezeichnet er als „empfangene Information, der man die visuelle Existenz nicht verweigern kann“ , das heißt, er entwickelt diese Kraft nicht zum gedanklichen Begriff, wie es dem Denker entspricht, sondern zum Kunstwerk, wie es dem Künstler entspricht – der Goethe selbstverständlich auch war.

Und dann bei Schiller, wie er die Aufgabe der Kunst in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen beschreibt und der Kunst das Reich der Freiheit zuweist, weil die schöpferische Betätigung des Menschen den Stoff nach subjektiven Gesetzen umformt, die aus seiner geistigen Welt stammen, und er dadurch eine Wirklichkeit schafft, die weder durch die Erfahrung der sinnlichen Erlebnisse bestimmt ist noch durch die Gesetze der Vernunft. Diese Wirklichkeit synthetisiert das Sinnliche (den Zufall) und die Vernunft (das Notwendige), die sich sonst unvermittelt gegenüberstehen, aber auf eine höhere Weise: denn das Werk, das dadurch geschaffen wird, befriedigt durch die vom Künstler erzeugte Harmonie. „Um diese Kunst in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, ist eine bestimmte innere Freiheit nötig, die aber auch äußerlich vorhanden sein muss“, heißt es bei Evgenij Kozlov.

Das Kunstwerk kann, wie Goethe sagt, im Verhältnis zur gegebenen Sinneswelt nur Schein eines Wahren sein, denn in der Naturwelt ist die Harmonie in der Einzelerscheinung nirgends vollendet, sondern nur in ihrer Vielheit, Gesamtheit. Gerade dadurch aber erhebt es den Menschen, indem es Schein ist: nicht das ist die Aufgabe des Kunstwerkes, dass es die Natur so täuschend wie möglich nachahmt, sondern indem es die Natur übertrifft, ist es Schein. Diese Fähigkeit, die höhere Wirklichkeit künstlerisch zu schaffen, nennt Evgenij Kozlov „die Kunst der Zukunft“, und er sagt, dass es eine Zeit kommen wird, wenn der Betrachter selbst zum Künstler wird, .. „dann wird jeder ein Künstler sein.“ Eine Aussage, die uns an Joseph Beuys erinnert.

Mit diesen kurzen Beschreibungen wollte ich skizzieren, in welchen Kontext ich das Gespräch setze und worin meine Motivation besteht, es zum jetzigen Zeitpunkt zu veröffentlichen.
Allerdings habe ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht, diese Parallelen im Einzelnen nachzuweisen. Daher wird der Leser für den Kommentar ebenso wie für den Text eine gewisse Unbefangenheit benötigen. Es handelt sich ja nicht um eine mit Quellenverweisen gesättigte kunstphilosophische Betrachtung; jene würde den Rahmen dieses Essays sprengen. Und so mag er die Namen vermissen, die dem Text Autorität verleihen könnten.

An die Stelle von Autorität tritt hier die Authentizität. Evgenij Kozlov spricht aus seiner Erfahrung, und es ist die Unmittelbarkeit des Gesprächs, die Art und Weise, wie er die Gedanken aus dem Moment heraus formuliert, die mich beim erneuten Lesen immer wieder fasziniert. In dieser Authentizität liegt meiner Meinung nach die Bedeutung des Gesprächs. Ich habe durchaus das Gefühl, Zeugin und Mitschaffende bei einem künstlerischen Akt gewesen zu sein. Ein künstlerischer Akt, der sich in diesem Fall der Worte als Ausdrucksmittel bedient, welche wiederum den künstlerischen Prozess allgemein zum Inhalt haben. Mit anderen Worten: schaffend wird etwas Schaffendes vermittelt.

Der Impuls

Mein Interesse am Gespräch über Kunst stammt nicht ursprünglich aus einer Zuneigung zu bildnerischen Werken als solchen, sondern beruht eher auf oben beschriebener Fragestellung, nämlich der nach dem Wesen und der Beschreibung des künstlerischen Akts, im weiteren Sinne des schöpferischen Prozesses, bevor er sich in der Erscheinung, Im Werk, vollendet. Wenn man es etwas einfacher umschreiben will: es ist die Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie eigentlich etwas Neues in die Welt kommt.

Da mein Ansatz das Nachdenken über etwas ist sowie der Versuch, das Nachdenken in Worte zu fassen, und da dieses Nachdenken zwangsläufig ein Objekt braucht, ergab es sich, dass ich meine Aufmerksamkeit auf das Kunstwerk in seiner visuellen Form richtete. Was mich im bildnerischen Werk anzieht, insofern es mich anzieht, ist seine visuelle Kraft, die eine andere als die Kraft der von mir geliebten Laut- und Begriffssprache ist, eine Kraft, die nicht aus dem Wort geboren ist, aber doch eine Affinität zu sprachlichen Begriffen hat: sie weckt in mir das Bedürfnis, ihr einen sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Man kann auch sagen, dass die Faszination, die gewisse Bildwerke auf mich ausüben, mir unmittelbar das Vorhandensein einer schöpferischen Kraft im Menschen beweist und ich bestrebt bin, diesen Beweis argumentativ zu führen.

Die Empfindung für eine außergewöhnliche künstlerische Gestaltungskraft hatte ich unmittelbar bei meiner ersten Begegnung mit Evgenij Kozlovs Werken im Jahre 1990. Genauer gesagt war es eine Begegnung mit dem Werk und dem Künstler in seinem damaligen Leningrader Atelier „Russkoee Polee“ (Das Russische Feld). In diesen Werken vermittelte sich mir eine ungeheure Lebendigkeit, so als ob sie tatsächlich aus sich heraus existierten und nicht das Resultat künstlerischer Überlegungen seien. Frappant war für mich aber auch der Kontrast zwischen der Expressivität der Kunstwerke und der zurückhaltenden Art des Künstlers. Ich möchte auch heute behaupten, dass ich selten einen Menschen kennengelernt habe, dessen Werke in so geringen Maße auf seine Persönlichkeit oder Biographie schließen lassen, zumindest wenn man sich an äußere Fakten hält.

Damit ist natürlich nicht gesagt, dass es nicht die Persönlichkeit des Künstlers ist, welche hier in individueller Weise tätig ist und welche den Kunstwerken ihre charakteristische Gestaltung gibt. Im Gegenteil, es ist ohne weiteres möglich, die Werke Evgenij Kozlovs (E-E als Künstlername) als solche zu erkennen, vorausgesetzt allerdings, man hat sich mit dem ganzen Werk vertraut gemacht. Es ist darüberhinaus spannend und ausgesprochen lehrreich zu erkennen, welche Artefakte oder Elemente des täglichen Lebens – Fotografien, Abdrucke, und anderes mehr - in die Werke einfließen und in welcher Weise sie das tun, das heißt, wie sie bei ihrer Verwendung in Neues verwandelt werden. Am Interessantesten ist, wenn man beobachtet, wie früher geschaffene Werke ihre Fortsetzung oder Metamorphose in späteren finden. Der Betrachter kann, sofern er über diese Informationen verfügt, das Kunstwerk von außen in gewisser Weise nachschaffen, seinen Entstehungsprozess äußerlich verfolgen.

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